Fragmente von Schleiermacher, Henriette und Franz von Assisi im Kontext, 1

Fragmente

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Zu Fragmenten habe ich einen ganz eigenen Bezug. Als ich studierte, habe ich unter Anderem ein Hauptseminar zur Deutschen Romantik besucht, das tiefe Spuren in mir hinterlassen hat (wie eigentlich jedes Hauptseminar mich auf die eine oder Andere Weise weiter begleitet). Meine Arbeit handelte von den Athenäums-Fragmenten, die im Athenäum (einer kleinen Publikationsreihe von Dichtern und Denkern um 1800) unregelmäßig als Zitat- und Gedankensammlung, eben als Textfragmente, veröffentlicht wurden. Um das Schubladendenken der Leser zu minimieren, wurden die Fragmente anonym veröffentlicht; die meinsten stammen vom Urheber des Athenäums, Friedrich Schlegel, einige von seinem Bruder August Wilhelm Schlegel, weitere von Novalis und Schleiermacher. Manche wurden auch von mehreren zusammen entwickelt oder sind Ergebnisse von Diskussionen der Denker, ihrer Partnerinnen und zeitweiser Gäste. Zählen sollten allein die Gedanken: Philosophisch, satirisch, polemisch, aufrüttelnd, nachdenklich, manchmal auch mit Bezug zur aktuellen Poesie, Theaterszene oder Politik, manchmal das Weltbild und häufig die Religion zurecht rückend. Es macht mir noch immer einen riesigen Spaß, diese Fragmente zu lesen und den enthaltenen Witz (im Sinne von Idee, schneidender Scharfsinnigkeit) mit meinem Geist spielen zu lassen.

 

Diese Woche arbeitete ich wieder zwei Tage in der Werkstatt des Staatstheater am Gärtnerplatz, ein Aushilfsjob von mir, und war grausam zu Büchern. Etwas, das ich nicht gerne bin. Jene alten Bücher wurden „modifiziert“: In den halben Buchblock wird eine Lampe eingesetzt. Dazu wurde je ein Papierstreifen herausgeschnitten.

Buchfledderei fürs Theater

Bücherschlachten zum Zwecke der bühnenbildnerischen Erleuchtung von Darstellern für das Gärtnerplatztheater

Die Wahl der Bücher wurde von Kollegen getroffen, und ich ging voran in meinem Schlachterhandwerk und keilte unter Anderem Streifen aus einem norwegischen Werk über Franz von Assisi sowie den Briefverkehr Schleiermachers mit Henriette heraus. (Der weitere Verarbeitungsprozess ist länger, ich erpare Euch das.) Und da waren sie wieder: Fragmente, nun ganz herausgelöst aus einem Kontext oder Sinn, und vielleicht lesenswerte Bücher aus dem Universum des potentiellen Geistschärfens entnommen. Bei solchen Momenten denke ich immer an Walter Moers Homunkoloss (Aus der Stadt der träumenden Bücher): „Bücher erschaffen kannst du noch nicht (…), aber umbringen kannst du sie schon. Bist du sicher, daß du nicht lieber Kritiker werden möchtest?“ Ich will kein Bücherzerstörer und auch kein Kritiker sein, und bin doch kein Schreiberling wie der zukünftige Autor und Adressat des Homunkoloss. Manchmal mache ich Künstlerbücher, aber Autor bin ich keiner. Ich arbeite anders mit Worten und Sprache; und so nahm die Fragmentschnipsel mit nach Hause. Sie regten mich an, sie zu etwas Neuem zu machen, dass vielleicht wiederum den Geist anregen kann und vielleicht auch auf die Worte verweisen vermag, deren unrühmliches Grab sie geworden sind.

Ich griff die Idee meiner Fragmente-Werke wieder auf. Auch in der Vergangenheit arbeitete ich mit ausgedienten Papieren; ausgedienten Zettelkatalogkarten der Forschungsbibliothek, in der ich jobbte (ZIKG); Versatzstücken aus Presse und zerfledderten Büchern, und Broschüren. Das (gedruckte) Wort hat für mich Wert, sobald es den Geist anregt. (Was mich zu einem ausgesprochenen Feind von unerbetener gedruckter Werbung etc macht. Auch das ist Abstumpfung des Geistes – so viele Informationen, die nie den Geist anregen sollten und den Menschen kontinuierlich konditionieren zu einem Geringeren, als er sein könnte. Ganz anderes Thema.)

Die Fragmente sind inzwischen teils eingelassen auf übermalter Leinwand und auf Karton und warten auf den Zirkelschluss, den ich ihnen verspreche: Die Wiedereingliederung in die Welt der Inhalt transportierenden Worte.

Fragmente von Schleiermacher, Henriette und Franz von Assisi im Kontext, 1

Fragmente in einem Werk für Denkwillige, Zwischenzustand

Fragmente in einem Werk für Denkwillige

Fragmente von Schleiermacher, Henriette und Franz von Assisi in neu erzwungenem Kontext

 

 

 

 

 

 

Meine Gedanken kreisen dabei immer wieder um die Gespräche Schleiermachers mit Henriette, der Gattin eines Freundes die er ehelichte, als die deutlich jüngere Frau neunzehnjährig verwitwete. Ich habe diesen Briefwechsel nie gelesen. Ich kenne Franz von Assisis Wirken ebenfalls nur aus Zusammenfassungen und kann zudem keine nordische Sprache, kann weder Herausgeber noch konkreten Verfasser oder auch nur Sprache nennen. Beide Bücher handeln jedoch von Austausch; vom Miteinander der Menschen, vom Menschenbild, vom geistigen Wachstum. Sie passen in gewisser Weise zueinander, nicht nur im Buchformat und Alter und Qualität des Papiers. Ich schichtete ihre Streifen neben- und übereinander, mit leicht eingefärbtem Leim und manchmal mit Spachtelmasse oder Acryl. Nach einigen Stunden sind nun langsam die Grundlagen geschaffen. Ein neuer Dialog und ein neuer Denkansatz geben meinem inneren Philosophen ein gutes Grundgefühl.

Parallel lese ich immer wieder in die Athenäumsfragmente (zum Beispiel hier zu lesen) und suche meine liebsten Stücke heraus. Da ich mich selbst immer wieder mit meinen Lern- und Wachstumsprozessen und dem mir manchmal fremd erscheinenden Menschsein auseinander setze, identifiziere ich mich teils selbst mit einer Fragmentsammlung. Die Athenäumssammlung zeigt, dass das nichts Schlechtes oder Geringes sein muss.

Ich erzähle weiter, wenn sich meine Gedanken gesetzt haben.

Danke fürs Lesen.

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